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Medizin ist ‚ärztlich‘ und sollte in erster Linie ambulant erfolgen

DR. MED. MICHAEL MÜLLER

Manchmal ist es schwer, im Handeln von Personen Konturen, Linien und nachhaltige Strategien zu erkennen. Meinungswechsel, Sprunghaftigkeit und auch inkonsistente Themensetzungen können einem dabei den Blick quasi ‚vernebeln‘. Doch wer länger und genauer hinschaut, kann deutlichere Zeichen erkennen. Je mehr erkennbar wird, umso ‚flauer‘ wird es einer wachsenden Zahl kritischer Beobachter beim Betrachten des langsam erkennbaren Gesamtbildes in der Gesundheitspolitik.

Vielfach wurde geschrieben, dass die COVID-19-Pandemie wie ein Brennglas die ohnehin schon bestandenen Schwachstellen in unserem Gesundheitswesen offengelegt habe. Hier scheint es sich jedoch anders zu verhalten. Mit den sich abschwächenden Wellen des SARS-CoV-2-Infektionsgeschehens, das seit dem Herbst 2022 begleitet wird von vielen Fällen akuter Atemwegsinfektionen anderer Ursachen – zu denen insbesondere RSV und Influenzaviren gehören – und dem sich damit veränderten Fokus gesundheitspolitischer Entscheidungen, offenbart sich das primär ideologisch und nur nachrangig medizinisch ausgerichtete Fundament des aktuellen Bundesgesundheitsministers für eine bestmögliche medizinische Versorgung der Bevölkerung. Man reibt sich ein wenig die Augen und vermag nicht so ganz zu glauben, was hier wahrzunehmen ist:

Da wird zunächst mit Blick auf das – zugegebenermaßen nicht gute – DRG-System unverhohlen behauptet, Ärztinnen und Ärzte in den Krankenhäusern hätten in den letzten zehn Jahren Hamsterradmedizin betrieben und noch dazu in schlechter Qualität. Soll heißen: Indikationsstellungen erfolgten primär profitorientiert zugunsten des Arbeitgebers, gute Behandlungsergebnisse seien nachrangig. Was für eine absurde Behauptung, die, da von höchster politischer Ebene kommend, offenbar nicht mit Zahlen, Daten und Fakten oder ein wenig Evidenz untermauert werden muss.

Kaum ist dieser Angriff auf den ärztlichen Beruf verklungen, werden junge Ärztinnen und Ärzte im Angestelltenverhältnis zur Zielscheibe, denen nun unterstellt wird, in ‚Praxisketten von Promi-Ärzten‘ ebenfalls Hamsterradmedizin inklusive unnützer Behandlungen in schlechter Qualität zu betreiben. Auch dies verhallt bis auf den Protest eines einzigen fachärztlichen Berufsverbandes im Kern unwidersprochen. Gleichzeitig wird deutlich, dass man gesundheitspolitisch und ‚zur Verbesserung der Versorgung‘ nunmehr nahezu allein auf die Krankenhäuser setzt, diese finanziell unterstützt und ihnen zudem die Möglichkeiten der ambulanten Versorgung eröffnet. Parallel sollen bis zu 1.000 Gesundheitskioske, natürlich nur in sozialen Brennpunkten, die ärztliche Versorgung entlasten. Auf dem zurückliegenden Neujahrsempfang der Ärzteschaft gab es hierzu dankenswerterweise deutliche Worte vom KBV-Vorstandsvorsitzenden als Vertreter der Vertragsärzteschaft.

Mit Abschluss der Wahlen zu den Vertreterversammlungen der Kassenärztlichen Vereinigungen und jetzt bald auch der Delegiertenversammlungen in den Landesärztekammern haben Ärztinnen und Ärzte die Vertretungen für die kommenden Jahre gewählt, so dass in der kommenden Amtsperiode vereint und gestärkt ärztliche Interessen vertreten werden können.

Es erscheint dabei umso wichtiger, insbesondere auch nach den Erfahrungen in der COVID-19-Pandemie, dass wir Ärztinnen und Ärzte deutlich machen, dass gute Medizin nur und ausschließlich in einer ärztlichen Gesamtverantwortung stattfinden kann. Alle anderen Angebote zur Unterstützung von Patientinnen und Patienten oder Gesunden sollten keine arztersetzenden Maßnahmen bzw. Leistungen enthalten. Zudem wird es erforderlich sein, auf die in jeder Hinsicht notwendige Priorisierung ambulanter gegenüber stationärer Versorgung hinzuweisen. Dabei müssen die im vertragsärztlichen Bereich längst erfolgreich etablierten Qualitätsstandards gelten. Eine ‚Ambulantisierung der Versorgung‘ allein oder im Kern vom Krankenhausmanagement her zu denken und zu gestalten, wie es offenbar jetzt vorgesehen ist, kann nicht sachgerecht und zielführend sein. Optionen und Chancen müssen sektorenübergreifend und -verbindend fair entwickelt werden.

In dieser komplexen Debatte um eine bestmögliche Versorgung bleibt es am Ende von zentraler Bedeutung, dass sich die Ärztinnen und Ärzte, ob in einem Angestelltenverhältnis oder selbständig arbeitend, ob in ambulanter oder stationärer Versorgung, als Berufsgruppe nicht auseinanderdividieren lassen. Das braucht Mut, Vertrauen und Zuversicht bei den gewählten Vertreterinnen und Vertretern und deren Unterstützung aus der Ärzteschaft heraus.